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Tausendundein Tier: Workaway in Transsilvanien


Als ich im zentralrumänischen Făgăraș ankomme, hänge ich von meiner letzten Nacht in Cluj noch ziemlich in den Seilen. Über einen tollen Workaway-Kontakt, die Rumänin Alexandra, bin ich bei einer Open-Air-Veranstaltung gelandet und habe die Band Marquis Noir spielen gehört. Was für ein Fest! Anschließend haben wir uns gemeinsam in die Nacht getrunken und Alexandra hat mich ihrer Stadt vorgestellt mit einer begeisternd offenen, liebevollen und quirligen Art.


Nun also beginnt mein erstes richtiges Workaway-Abenteuer dieser Reise in Făgăraș.


Info: Workaway ist eine Plattform, über die man überall auf der Welt verschiedene Arbeiten für allerlei Projekte als Gastgeber:in oder als reisende Person anbieten kann. Kultureller Austausch steht dabei im Vordergrund und meist wird die Arbeit dabei gegen Kost und Logis aufgerechnet. Auch Reisende können sich über das Portal austauschen und Kontakt knüpfen.


Meine Gastgebenden sind Heiko und Katja, die vor einigen Jahren mit ihren beiden Söhnen von Deutschland nach Rumänien übergesiedelt sind, mit zahlreichen Tieren im Gepäck. Über 100 Hunde, mehr als 50 Pferde, einige Katzen, Kühe und Wasserbüffel sowie Ziegen und Hühner gehören mittlerweile dazu. Außerdem sind noch zwei weitere Aushilfen über Workaway hier, nämlich Kamila aus der Tschechischen Republik und Marko aus Deutschland.


Routine und Ruhe beim Reisen


Nachdem ich einen guten Stellplatz für Fred auf dem Gartengrundstück der beiden gefunden habe, bleibt der Motor für zwei Wochen aus. Ich komme an und der Alltag beginnt. Zunächst lerne ich all die Hunde im Haus kennen: Pablo, Toffee, Balin, Teddy, Grace, Prinzessin und so weiter. "You'll never walk alone", sagt Katja und da hat sie recht. Mache ich die Autotür auf, stehen mindestens acht Pfoten vor der Tür und tasten sich langsam in den Bus. Bei meinem Putzfimmel bleibt das aber zwei Wochen lang ein Tabu, ich würde wahnsinnig werden bei den Hundehaaren im Bett.


Morgens gegen 8 Uhr geht es dann los, wir essen gemeinsam und fahren "raus". Das heißt: 20 Minuten Pistenrodeo mit max. 15 km/h auf das 70 Hektar große Grundstück im rumänischen Nirgendwo. Dafür gibt es sogar ein separates Auto: einen völlig zerlegten Suzuki mit Allradantrieb. Was für ein Spaß, dieses Teil über die matschige Piste zu schaukeln (oder in der Ladefläche hinten geschaukelt zu werden).


Anschließend stehen die Routinearbeiten an: Pferde, Hunde und Ziegen werden gefüttert sowie geputzt und fast täglich müssen Zäune gebaut, kontrolliert oder repariert werden. Mittagspause machen wir dann irgendwo im Schutz vor Sonne oder Regen, denn während meiner zwei Wochen hier im Juni regnet es gut eine Woche durch.


Je nach Wetter und Arbeitslage kommen wir schließlich am Nachmittag, manchmal auch am frühen Abend zurück und essen gemeinsam. Danach beginnt meine eigene Arbeit und ich schreibe meine Auftragsartikel um mich weiterhin zu finanzieren, manchmal bis nachts.



Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht


Da Rumänien hinsichtlich der Pferdehaltung eine kaum existente Versorgungsstruktur hat, also kaum Hufschmied:innen, Geschäfte, Tierärzt:innen etc., sind alle Beteiligten dieses Projekts in Făgăraș gezwungen, sehr viel selbst in die Hand zu nehmen. Natürlich ist das oft zeitraubend und anstrengend, zugleich beeindruckt mich aber diese tiefgehende Hands-On-Mentalität sehr. Ich lerne wirklich, wirklich viel, beispielsweise wie man Hufe schneidet.


Nebenbei: Ein erklärtes Ziel dieser langen Reise ist es für mich, wieder mehr mit Pferden zu arbeiten. Deshalb träume ich auch schon so lang von der Mongolei, wo Kinder reiten lernen, bevor sie laufen können (zumindest sagt man so).


In Făgăraș hatte ich das Glück, in der kurzen Zeit relativ viel mit der Pferdetrainerin Silke Frisch-Branderup zusammenzuarbeiten. Wenn man Silke beobachtet, bekommt man das Gefühl, dass sie den Pferden in den Kopf schauen kann. Von dem Begriff "Pferdeflüsterer" habe ich nie viel gehalten, aber zumindest überdenke ich das hier nochmal.


Bisher hatte ich in meinem Leben von Kindesbeinen an viele Jahre Reitunterricht, meist Dressur und ein wenig Western- sowie Springreiten. Wer sich mal ein bisschen im deutschen Reitsport und Reitschuldiskurs bewegt hat, weiß vielleicht ungefähr, wie ich dabei konditioniert wurde. Unterm Strich bekommen Pferde, vor allem Schulpferde, darin wenig Raum. Einfach gesagt haben Pferde zu funktionieren und zu gehorchen, sie unterliegen einem ähnlichen Leistungsdenken, wie der Rest von uns. Schöner, höher, schneller. Es gibt eine ziemlich feste Vorstellung davon, wie Pferde auszusehen haben und wie sie sich bewegen müssen, vor allem in den entsprechenden Reitdisziplinen.


Ich glaube ich hatte eigentlich schon immer das Gefühl, dass mit diesem System niemand so richtig glücklich wird, auch die Reitschüler:innen nicht, die dann mit Frust und Über- oder Unterforderung der Tiere umgehen müssen.


Nun komme ich also nach Făgăraș und bekomme endlich ein durchdachtes Kontrastprogramm zur Mainstream-Pferdehaltung und vor allem: einen Ansatz, um mit Pferden auf Augenhöhe umzugehen. Die Pferdeherden stehen auf großen, saftigen Koppeln draußen zu jeder Zeit und Schritt für Schritt beginnt Silke, mit den Tieren zu arbeiten, sodass sie eines Tages geritten werden können. Am meisten beeindruckt mich dabei die völlige Daseinsberechtigung, die sie jedem einzelnen Pferd einräumt. Es gibt gute Tage, vor allem darf es aber auch schlechte Tage geben und das ist völlig in Ordnung. Alles kann, nichts muss. Aber vor allem: Alles kann. Jeder noch so kleine Fortschritt ist ein Fortschritt und es wird nicht relativiert, sondern akzeptiert. "Wir wollen uns alle weiterentwickeln und das ist mit den Pferden genauso", sagt Silke.


Ich bekomme den Eindruck, dass sie mit den Tieren arbeitet: gemeinsam. Die Pferde scheinen überdurchschnittlich gut mit ihr zu kooperieren, als würden sie sie nicht enttäuschen wollen. Das verstehe ich übrigens ziemlich gut, auch ich verspüre ein überdurchschnittliches Interesse daran, mich ihr gegenüber nicht unnötig blöd anzustellen.


Außerdem lerne ich in diesen Tagen viel, was sich gut mit meiner Meditationspraxis ergänzt. Meditieren, das hatte ich schon länger auf dem Zettel. Dass ich schließlich auch wirklich damit angefangen habe, verdanke ich einigen Gesprächen mit und guten Empfehlungen von Philipp. Also beginnen meine Tage in Făgăraș streng genommen eigentlich schon 7:30 Uhr mit einer Achtsamkeitsmeditation im Bus.


Pferde spiegeln unsere Energie, so bringt es Silke in einem Interview mit Pferdekult gut auf den Punkt:


"[Pferde] sind immer völlig präsent im Hier und Jetzt, und gleichzeitig sind sie energetisch mit weiteren Bewusstseinsebenen verbunden. Daher können Pferde für uns weise Lehrer auf unserem Weg zu uns selbst sein. Pferde lieben authentische Energie und reagieren immer direkt und ungeschminkt auf unsere Ausstrahlung und Energie. Wir können an ihrem Verhalten und ihren Reaktionen ableiten, was mit uns gerade wirklich los ist. Denn das ist oft etwas ganz anderes als das Bild, das wir von uns selber haben. So helfen uns die Pferde, uns selbst zu erkennen."

Und während ich dort in Rumänien über all das nachdenke, merke ich ganz schön viel in mir selbst. Schon vor einer Weile habe ich gemerkt, wie tief ich das Leistungsdenken internalisiert hatte und wie ungnädig ich innerlich oft mit anderen Personen war. Nun merke ich vor allem, wie wenig Daseinsberechtigung ich mir selbst oft einräume. Ich merke aber auch, wie gut es mir tut, das aktiv wahrzunehmen, denn nun kann ich daran arbeiten.


Ich will mich künftig mehr öffnen können und sein, ohne einer Vorstellung entsprechen zu müssen. Ich habe nun viele Jahre damit verbracht, Rollen zu erfüllen und gute Tochter, Schülerin, Partnerin etc. zu sein. Nun ist es an der Zeit zu entdecken, was für mich wichtig ist. Ich möchte selbstsicher, mir selbst bewusst und selbstbewusst werden, mir selbst und allen anderen mehr Raum geben. Ich möchte Kooperation statt Wettbewerb, möchte unvoreingenommen, uneingeschränkt lieben können, möchte Ehrlichkeit und Loyalität zu meinen Grundwerten erheben. Warum hatte ich davor immer so viel Angst? Ich bin wirklich dankbar, mir die Zeit für diesen Lernprozess nehmen zu können, denn: Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.


"Die Hengste sind raus!"


"Life happens when you're making plans", dieser Satz wird in Făgăraș zu einem Running Gag. Glatt läuft hier nicht immer alles, das weiß ich spätestens, seit ein kleiner Welpe auf meinem Schoß im Auto gestorben ist. An dieser Erfahrung hatte ich eine ganze Weile zu knabbern.


Als wir also mit dem Satz "Die Hengste sind raus!", begrüßt werden, ist die Aufgabe des Tages klar und verdrängt alle anderen Pläne (Achtung, Triggerwarnung):


"Knapp fünf Stunden lang rennen wir schwingenden Pferdegliedern hinterher, die nur noch die Stuten im Kopf haben. Lange habe ich nicht mehr so viel über Männlichkeit nachgedacht und dieser Anblick wirft in mir einige Fragen auf. Die Hengste beißen sich untereinander blutig, es wird geschrien und getreten, gejagt und schließlich gedeckt - zumindest versuchen sie es. Die Hengste sind völlig irrational, einfach drüber und damit ziemlich gefährlich, sowohl untereinander als auch für uns. Ein Welpe wird getreten und eine Stute lahmt anschließend stark." - Tagebuch am 19.06.23

Dass die Koppeln zu dieser Zeit nur noch aus Schlamm bestehen, macht das Unterfangen nicht einfacher, schließlich gelingt es aber, die Hengste abzutransportieren. Das ganze Theater ist aber auch ein tolles Schaubild für weiblichen Zusammenhalt, denn die Stuten finden sich in Paaren oder Gruppen zusammen und geben den Hengsten heftig Kontra. An diesen dichten Schutzkreisen kommen die Herren kaum vorbei mit ihrer schamlosen, drängelnden Manier.

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