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Planlos geht der Plan los

Es ist Anfang April und ich bin in Fındıklı, einer kleinen osttürkischen Stadt am schwarzen Meer, die wörtlich übersetzt "Ort der Haselnüsse" heißt. Vergangenes Jahr bin ich hier schon vorbeigefahren an riesigen Mengen von Nüssen, die am Straßenrand in der Spätsommersonne trocknen sollten. Findige Leser:innen haben jetzt vermutlich eine Frage: Warum bist du denn schon wieder dort, Maria?


Life happens when you're making plans


Jetzt gerade, in diesem Moment, habe ich ein gültiges Visum für einen Transit durch Russland. Am 10. April läuft das aus, dann wollte ich eigentlich schon in Kasachstan sein. Hätte gewesen sein wollen. Ziemlich viel Konjunktiv, offensichtlich. Ich habe auf dieser Reise grundsätzlich schon nicht sonderlich viel geplant, aber dieses Jahr läuft wirklich mal ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe. Das Leben hat mich samt meiner Pläne am Kragen gepackt, durchgeschüttelt und daran erinnert, dass es immer noch selbst die Zügel in der Hand hält.


Wie ich mich in einen Armenier verliebt habe


Am zweiten Tag dieses damals neuen, frischen Jahres ist das geschehen, was nicht nur zu einer Planänderung führen sollte, sondern eher zu einer Planverwerfung. Südlich der armenischen Hauptstadt Jerewan ist es passiert: Ich habe mich wieder verliebt.


Diese dunkelbrauen Augen, dieses kurze, schwarze Haar! Mit seinen langen Beinen, geducktem Kopf, viel zu dünn in der Winterkälte und mit meilenweit wackelndem Hinterteil kam er auf der Landstraße zum Van geflitzt und hat ein Gefühlsspektrum in mir aufgeschlossen, was ziemlich lange unberührt blieb. Mittlerweile ist Vedi ein fester Teil des Teams.


Fotos von Sophie


Reisen mit Hund - Was für eine bescheuerte Idee!


Wenn ich ehrlich bin, habe ich diesen Moment in den Wochen danach ziemlich häufig verflucht. Immer wieder habe ich über einen eigenen Hund nachgedacht und immer wieder wusste ich genau, was dagegen spricht: Jahrelange Verpflichtung, Einschränkungen im Alltag, Einschränkungen auf Reisen, Kosten, Verantwortung, Zeitaufwand und so weiter. Vedi habe ich deshalb erstmal unter Vorbehalt mitgenommen, um zu sehen, wie kompatibel wir sind. Die Antwort? Ich könnte mir wirklich - und das bis heute - keinen besseren Hund vorstellen.


Völlige Verzweiflung


Und obwohl ich mit Vedi natürlich viel üben muss und er ein paar Macken hatte und hat, die wir in den Griff bekommen mussten und müssen, hatte ich die größten Probleme eher mit organisatorischen Dingen. Von Tierärzt:innen und Dokumenten, Titertests und Ausreisebestimmungen kann ich mittlerweile ein Lied singen. Wenn jemand von euch einen Hund aus dem Kaukasus nach Deutschland bringen will: Hit me up, ich weiß alles.


Bis Vedi von Armenien nach Georgien ausreisen durfte, entwurmt, gechipt, geimpft und kastriert war, ging Woche um Woche ins Land. Aus einem Monat in Armenien wurden über zwei und obwohl die Rechnungen im Vergleich zu Europa moderat waren, haben die Ausgaben in regelmäßigen Abständen Dürre in meine Ersparnisse gepustet. Aber wenigstens das wusste ich ja schon vorher. Dass Hundefutter in Armenien exorbitant teuer ist, musste ich lernen. Mein Glück, dass er ab und an auch gern Kartoffeln isst. Grüße gehen raus an meine hundeverrückte Familie und Freunde, die mich dabei auch finanziell unterstützt haben.


Eine Zeit lang hat mir jedes Telefonat mit Tierarztpraxen den Puls in die Höhe getrieben. Es gibt nicht viele Dinge, die mich sauer machen, aber schlechte Kommunikation und Missinformation schon. So habe ich immer erst beim nächsten Termin von weiteren Verzögerungen erfahren. In einer Woche dies, dann in drei Wochen das und vier Wochen später dann: Ach, das dann auch noch in vierzehn Tagen! Mit jedem Termin wurden meine Pläne immer weiter nach hinten verschoben und schließlich über den Haufen geworfen. Nochmal nach Georgien gehen, dort noch ein Workaway machen, Snowboarden in Svaneti und Backpacken durch Aserbaidschan, all das hatte ich vor, bis es mit jeder Woche schmerzlich an meinem inneren Auge vorbei ins Nichts gezogen ist, oder besser: gezogen wurde.


Es geht weiter, aber mit Umwegen


Also habe ich nicht nur umgeplant, ich habe kapituliert. Mit einer mir bis dahin unbekannten, geradezu stoischen Ruhe habe ich alles hingenommen und eine Zeit lang nicht weiter geplant als bis in die nächste Woche. Der Flow, in dem ich bis dahin im Reisen war, hat sich verabschiedet und seit drei Monaten stolpere ich mal mehr und mal weniger durch meinen Reisealltag.


Von Vedi einmal abgesehen gibt es auch noch ein paar andere Gründe, warum ich nicht so einfach weiterreisen kann, wie ich es mal vorhatte. Die aserbaidschanischen Landgrenzen sind geschlossen, sodass ich nicht mit dem Auto in das Land reisen kann und der Iran ist für mich persönlich aus verschiedenen Gründen derzeit zu riskant. In Russland wiederum warten Dagestan und Tschetschenien auf mich, um auf kürzester Strecke von Georgien nach Kasachstan zu kommen.


Wie dieses Jahr so ungefähr aussehen soll bei uns, weiß ich zwar, aber wenn ich eins gelernt habe, dann dass dieser Plan genauso fragil ist, wie alle bisherigen. Ich verrate es trotzdem mal. Diesen und den nächsten Monat reise ich durch die südöstlichen, kurdischen Gebiete der Türkei. Im Anschluss fahre ich über Georgien zurück nach Armenien, um die Sommermonate dort in den Bergen zu verbringen und an eigenen Projekten zu arbeiten. Im September würde ich gern in Aserbaidschan reisen, was hoffentlich bei Gelegenheit mal wieder die Landgrenzen öffnet, und von Oktober bis Dezember habe ich das Glück - und darauf freue ich mich schon sehr -, für eine deutschsprachige Zeitung in Almaty in Kasachstan zu arbeiten. Ob mit oder ohne Van? Keine Ahnung. Aber mit Vedi, und den würde ich um nichts mehr hergeben wollen.

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