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Pamir-Highway Teil 2: Stille im Nirgendwo

Das Pamir-Gebirge gehört mit seinen 7.000er-Gipfeln zum Dach der Welt. In Nachbarschaft unter anderem zum Hindukusch sowie dem Himalaya ist es eine der weltweit höchsten Regionen. Die als Pamir Highway bekannte, ehemalig sowjetische Hauptstraße M41 führt im Grenzgebiet zu Afghanistan und China durch das Bergland von der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe bis in die kirgisische Stadt Osch.


Im September 2024 bin ich diese Strecke gefahren. Zum ersten Teil dieses Artikels kommt ihr hier.

 

Vom fast fehlerfreien Fred


Wer sein Auto liebt, der schiebt, denke ich, während ich bei offener Fahrertür – eine Hand am Rahmen, eine am Lenkrad – mein Auto vom Feldweg in Richtung Straße bewege. Nach einer ruhigen Nacht unweit der ohnehin nicht besonders viel befahrenen Hauptstraße, lässt mich mein Kastenwagen Fred erneut im Stich. Glücklicherweise macht er das nicht allzu häufig und für diese Fälle habe ich mich vor meiner Abreise mit KFZ-Themen noch ein bisschen vertraut gemacht.


Gemeinsam sind wir von Deutschland aus bis hierhergefahren, wobei mir Fred als Auto und Wohnraum in den letzten anderthalb Jahren und auf über 20.000 Kilometern sehr gute Dienste erwiesen hat. Den Pamir Highway zu fahren, sollte jedoch zu einer unserer bisher größten, gemeinsamen Herausforderungen werden.



Nun ist es also soweit, die Batterie streikt schon am zweiten Morgen in Folge. Nach gut 20 Minuten kommt das erste Auto vorbei, ein LKW, und kurz darauf ein Geländewagen. Starthilfe ist inzwischen schon Routine. In Murghab, dem nächsten Ort, bekomme ich keine passende Batterie aufgetrieben, also kaufe ich in der Not eine beliebige, die künftig zur Starthilfe dienen soll. Da ich meine Autobatterie jedoch fortan nachts abklemme, bleibt mein Ersatzmodell unbenutzt.


Zu kämpfen hat Fred einige Tage später nochmal auf knapp 4.000 Metern Höhe: Der gute alte Dieselmotor orgelt ordentlich beim Anlassen, Fred bewegt sich aber doch fort. Hier, kurz vor der kirgisischen Grenze, sind wir am kritischsten Ort unserer Reise. Die Nächte werden verdammt kalt und es ist nur eine Frage der Zeit, bis hier der erste Schnee fällt. Vor uns liegt der letzte, gefürchtete Kyzyl-Art-Pass und Abschleppen über die Grenze ist nicht möglich. Von Duschanbe sind wir außerdem bereits knapp 800 Kilometer und damit zahlreiche Fahrtage entfernt.

 

Über Wochen im Nichts


Die Erinnerungen dieser Zeit im Pamir-Gebirge halten mich selbst Wochen danach noch in Atem. Begegnungen, Landschaften, Hoch- und Tiefpunkte haben einander gejagt und sind zuletzt wie Regen auf übervolle Erde gefallen, haben Rinnsale gebildet und sind davon geflossen. Schon jetzt erinnere ich mich nicht mehr an alles, aber ich weiß, dass die fließenden Rinnsale tiefe Spuren hinterlassen haben. 


Für mich ist das Reisen oft kein bewusster Prozess. Natürlich sind Lernen und Wissen essentielle Bestandteile des Unterfangens, was aber noch viel wichtiger ist, ist das Fühlen. Mit allem, was man erlebt und sieht – und diese Vielfalt an Eindrücken kann kein Kopf dieser Welt allumfassend verarbeiten – entwickelt man ein Bauchgefühl. Man versteht, wie Länder und Menschen sowie ihre Kulturen und Systeme funktionieren, ohne zu verstehen, woher dieses Verständnis kommt.


Auf dem Pamir Highway habe ich vor allem eins gefühlt: Wie es ist, ganz weit weg zu sein. Bereits in Khorog, der größten Stadt der Gegend, war die medizinische Versorgung beispielsweise so mangelhaft, dass es in keinem der zahlreichen Krankenhäuser möglich war, nach einem tierischen Zwischenfall eine Tollwutimpfung zu bekommen. Außerdem ist der Netzempfang bereits dort eingeschränkt und außerhalb der Stadt meistens nicht existent.


Über Tage hinweg reisen wir im Netz-Nirgendwo ohne Kontakt zur Außenwelt und plötzlich werden die Tage ganz langsam. Was zählt, sind Ort und Gegenwart, welche aus atemberaubenden, weiten Landschaften, schneebedeckten Bergen, breiten Flüssen oder heißen Quellen bestehen. Vor allem ist die Gegenwart aber eins: Still.


Die Ruhe, die hier so allumfassend ist, dass sie in den Ohren dröhnt, lässt Gedanken zu, sie lässt Krisen zu und Frieden. Die Stille bietet Raum, sie bietet Platz, um eine innere Unruhe gehen zu lassen, die sonst mit der Welt mitzuhalten versucht. Gleichzeitig bietet sie Platz für Angst und Anlass auch, da jeder Fehler in dieser Weite verhallen kann, ungehört. Menschliches Schicksal scheint weitgehend irrelevant zu sein, im Kleinen und im Großen. In dieser großen Stille bin ich Nichts. Klein, geerdet und ganz weit weg komme ich dadurch in einen ganz neuen Kontakt mit einer Welt, die ich nicht kannte.


 

Dieser Artikel wurde im Oktober in der Deutschen Allgemeinen Zeitung veröffentlicht. Schaut doch mal rein!


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