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Gastbeitrag: Tatra

Geschrieben von Philipp. Mehr zu den (Co-)Autor*innen findet ihr hier.


Kurz bevor das Leben bei Maria anfing vorzugehen, hatten wir uns zum Wandern in der Tatra verabredet. Während ihre Reise über Polen dorthin führte, wollte ich über Budapest anreisen. Am Dienstagabend vor dem Pfingstwochenende hatte ich eine Direktverbindung von München nach Budapest gebucht, die zu meiner Überraschung existierte. Geplante Ankunft: 00:19 Uhr. Tatsächliche Ankunft: 12:27 Uhr. Ein Unwetter hatte die Strecke irgendwo zwischen Wien und Budapest lahmgelegt, sodass der Railjet in Wien seine Fahrt beendete. Doch ein Spontanaufenthalt in einer meiner Lieblingsstädte war selbst an diesem gewöhnlichen Dienstagabend eher eine nette als lästige Überraschung. In Budapest war lediglich ein Zwischenaufenthalt geplant, ohne fixe Termine. Wenn man keinen Plan hat, kann auch nichts schiefgehen. Die Herausforderung an diesem Abend war einzig die Hotelsuche. Wie sich herausstellt, sind Hotels in der Nähe des Wiener Hauptbahnhofs auch an einem gewöhnlichen Dienstagabend komplett ausgebucht. Nun gut, einen Hotelgutschein der ÖBB und ein Hotel am Westbahnhof später, hatte ich dann noch eine Unterkunft für die Nacht.


Am nächsten Tag ging es dann mit dem nächsten Railjet weiter nach Budapest - die Strecke war glücklicherweise wieder frei. An dieser Stelle gehen Grüße raus an die ÖBB-Mitarbeitenden, die noch in der vorigen Nacht diesen Umstand ermöglicht haben. Nach einem wenig erwähnenswerten Aufenthalt in Budapest mit Langos und Kaminkuchen ging es mit dem Flixbus weiter nach Poprad, wo ich Maria treffen sollte. Noch bevor ich ankam, hatte ich schon den nächsten Flixbus gebucht: Von Poprad nach Zakopane, auf der polnischen Seite der Tatra. Uns hatte eine Tour auf der polnischen Seite angelacht, sodass wir uns kurzerhand dort treffen wollten. Also gesagt, getan.


Zu Beginn unserer Tour der Five Polish Ponds bemerkten wir einen Hubschrauber der Bergrettung in der Ferne, der, wie sich herausstellte, genau auf unser Ziel zusteuerte. Ein paar Stunden später erfuhren wir den Grund des Einsatzes, doch vorerst gingen wir weiter. Da die Sonne in Gelb und der Himmel in Blau strahlte, trug ich Sonnencreme auf. Ich bat auch Maria den UV-Schutz an, die allerdings dankend ablehnte. Das bisschen Sonne! Die rauen Wanderwege, entlang an Abhängen, über Stock und (vor allem) Stein, sowie in jeder Variante auch mit Altschnee, machten den Aufstieg zu einer Herausforderung. Wir passierten einen mächtigen Wasserfall, gespeißt durch einen der fünf Seen, den wir wenig später erreichten. Von schmelzenden Eisschollen bedeckt wirkte er besonders eindrucksvoll in der schneebedeckten Berglandschaft, in der wir wundersamerweise mit T-Shirts umherwanderten. Diese Anblicke weckten das Gefühl, in einer menschlich kaum berührten ursprünglichen Umgebung zu sein, einer, die sich seit ungeheuren Zeiträumen kaum verändert hat. Es fühlte sich so an, als wären wir wirklich tief in der Natur. Diese fast magische Fähigkeit des Bergwanderns macht ihre Anziehung aus.



Entlang des Sees erreichten wir den letzten Teil der Route: Einen steilen Hang zum Gipfel, vollständig von einer dicken Schneeschicht bedeckt. Selbstredend entschieden wir uns für den Aufstieg und begegneten währenddessen Bergsteigern mit Steigeisen und Eispickel. Ausrüstung, die wir nicht hatten. Während des zu Beginn noch mäßig steilen Aufstiegs wurden wir von hinten durch die Sonne und von vorne durch die Reflexionen im Schnee UV-gegrillt. Nun trug sogar Maria Sonnencreme auf, aber nur in die - Zitat - "Visage". Als es immer steiler wurde und kein Fels in Sicht war, dämmerte uns schließlich, dass wir den Gipfel nicht erreichen könnten, ohne ein großes Risiko einzugehen. Die Entscheidung besiegelte ein Gespräch mit einer absteigenden Bergsteigerin, die uns mitteilte, dass der Hubschrauber, den wir gesehen hatten, zwei Wanderer ohne Ausrüstung gerettet hatte. So wurde der Aufstieg zum Abstieg. Dennoch war dieser Teil der Route der für mich einprägsamste, nicht nur wegen des energieraubenden Aufstiegs im Schnee, sondern insbesondere wegen des unglaublichen Ausblicks auf den tauenden See und die schneebedeckten Berge, die ihn umgaben.



Ob ein Spontanbesuch in Wien, das Abbrechen einer zu riskanten Route oder das Anklopfen eines Brasilianers nachts um halb 11: Überraschungen sind auf Reisen gewiss. Planen ist sinnvoll, doch damit zu planen, dass nicht alle Pläne aufgehen, ist es auch. Wenn man sich nicht an Erwartungen klammert und es nimmt, wie es kommt, kann genau das die Reise erlebenswert machen. Neben guter Fahrtmusik und mehr Sonnencreme wünsche ich Maria also genau die nötige Gelassenheit für unerwartete und überraschende Momente.


Anmerkung der Redaktion: Nicht, dass ich daraus gelernt hätte, aber bereut habe ich die ganze Sonnencreme-Sache unwesentlich später, denn ich häute mich wie ein Reptil. Naja, in diesem Sinne noch eine Musikempfehlung an alle:



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