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You’re very lucky!

Brașov, 16.06.2023


Es ist 16:51 Uhr und ich bin eine Minute zu spät, als ich einen Anruf bekomme: Greg stehe am vereinbarten Platz und warte bereits auf mich. Während ich in den Wagen einsteige, kommt mir bereits die Verkleidung des Türgriffs auf der Innenseite entgegen und purzelt auf die Straße. Das kommt mir irgendwie passender vor als seine Pünktlichkeit. Greg ist ein rumänischer Guide für Bärenbeobachtungen und wenn er nicht gerade Menschen wie mich durch das Unterholz schleust, arbeitet er als Ranger im Wald. Zumindest habe ich das so verstanden, während er uns mit sportlichem Tempo Richtung Süden aus Brașov herausmanövriert.


Entlang der Straße überholen wir einen der Züge, die nach Bukarest fahren, während sich zu beiden Seiten sattgrüne Hänge mit übervollen Wäldern erheben. Kurz bevor wir einbiegen, fängt mein Handy wie wild an zu schrillen: Extreme Warnung, sagt es. In der Nähe wurden Bären gesichtet. Optimal, denke ich.


Schließlich bekomme ich auf der Fahrt von Greg auch einige Verhaltens- und Sicherheitshinweise. Nicht rennen, keine Panik. Ein Bär wäre mit über 50km/h ohnehin schneller im Rennen. Verstehe ich, dann ist Panik natürlich völlig unangemessen.


„But what would you do if we had a critical situation with a bear?“, frage ich ihn im Namen meiner Nervosität.

„I have a special treatment for the bear“, sagt er (zumindest denke ich, dass er das gesagt hat). „But if you’re scared, we cannot go out.“


Und noch während ich ihm im Abbiegen auf einen Nebenweg versichere, dass ich keine Angst, sondern nur einen gesunden Respekt habe, stehen sie vor uns: Ein Bärenweibchen mit drei Kleinen. Einfach so, mitten auf der Wiese.



Wir bleiben eine ganze Weile dort stehen und tun bei jedem vorbeifahrenden Auto so, als würden wir etwas am Auto kontrollieren, damit niemand anderes wegen der Bären stehenbleibt und sie damit verschreckt. Gut und gerne 20 Minuten lang können wir die flauschige Familie beim Fressen und die Kleinen beim Klettern beobachten, bevor sie sich ins Grün zurückziehen.


Dann geht es auch für uns in den Wald. Ein Wind zieht auf und noch während ich mir meinen Pullover anziehe, frage ich mich, warum ich für diesen Tag ausgerechnet meinen guten, irischen Wollpulli auserkoren habe. In der Nähe von Bären gibt es vielleicht bessere Ideen, als heftig nach Schaf zu riechen. Naja.


Mittlerweile weiß ich auch, was Gregs „special treatment“ ist: Permanent hat er ein knallrotes Mega-Pfefferspray in der Hand und außerdem einen Böller in der Tasche. Ich bin mir sicher, dass weder er noch ich wollen, dass es zum Einsatz kommt.


Knapp eine halbe Stunde lang schleichen wir uns wortlos durch diesen wunderschönen Wald der Karpaten. Alle paar Meter bleibt Greg stehen und zeigt mir Bärenhaufen, Tatzenabdrücke und Kratzspuren, an denen ich sonst blind vorbeigeflitzt wäre. Schließlich tut sich vor uns eine Lichtung auf, wo wir die nächste Stunde damit verbringen, vier verschiedenen Bären beim Kommen und Gehen, Sitzen, Essen und Schnuppern zuzuschauen. "You're very lucky", sagt Greg. So viele Bären - und auch noch kleine Exemplare - zu sehen, scheint nicht so oft vorzukommen.



Ich versuche, das ganze bestmöglich zu fotografieren. Hiermit grüße ich mein jüngeres Ich, das damals Bärenfotografin für National Geographic werden wollte: Fast geschafft! Leider gibt mein Objektiv nur eine Brennweite von 105mm her und obwohl ich mich auf weichen Sohlen ziemlich nah heranpirsche, ist das Ergebnis eher ernüchternd. Davon einmal abgesehen habe ich aber in meinem Versteck hinterm Baumstamm die beste Zeit. Diese faszinierenden Tiere in freier Wildbahn beobachten zu können, macht mich wirklich glücklich und mal wieder übermäßig dankbar.


Langsam zieht die Dämmerung auf und wir treten unseren Rückweg an. Im Licht der Abendsonne liegen die dunkelblauen Hügel der umliegenden Berge hinter den Baumwipfeln. Dieses Land beeindruckt mich wirklich nachhaltig.

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